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Dr. med. vet. Birgit Spindler

10. Februar 2019

Automatisches Frühwarnsystem zur Detektion von Verletzungen bei Puten, Dr. med. vet. Birgit Spindler

„Projektförderung in der Praxis – Wissenschaft“

Verletzungen der Tiere in Putenställen, hervorgerufen durch gegenseitiges Bepicken, haben vielfältige Gründe – ein zu eng besetzter Stall ist nur ein möglicher davon. Ein automatisches Frühwarnsystem soll deshalb dazu beitragen, Verletzungen bei Puten schneller aufzuspüren. Entwickelt wird das System unter der Leitung von Dr. med. vet. Birgit Spindler, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover und Leiterin der Arbeitsgruppe Tierschutz am Institut für Tierhygiene, Tierschutz und Nutztierethologie.

Das von Dr. med. vet. Birgit Spindler zu entwickelnde, kamerabasierte Frühwarnsystem soll es ermöglichen, erste Anzeichen von Kannibalismus-Verletzungen in Putenställen frühzeitig zu erkennen. Landwirte erhalten so die Möglichkeit, sich umgehend um die verletzten Tiere zu kümmern.

„Wir haben festgestellt, dass ein frühzeitiges Eingreifen bei ersten Anzeichen von gegenseitig zugefügten Pickverletzungen in Putenherden die Anzahl der betroffenen Tiere stark reduzieren kann. Dabei trägt die frühzeitige Detektion von verletzten Tieren durch eine kontinuierliche Überwachung erheblich zur Verbesserung von Tierwohl und Tiergesundheit bei“, erläutert Dr. med. vet. Spindler die Vorteile ihres Systems.

Nicht nur in der Intensivtierhaltung: Kannibalismus im Putenstall

Mit einer Prävalenz von bis zu 13 Prozent ist das Auftreten von Kannibalismus, also das gegenseitige Bepicken, in der Putenmast ein ernstzunehmendes Tierschutzproblem. Der Begriff Prävalenz stellt die Häufigkeit von erkrankten Tieren zu einem bestimmten Zeitpunkt oder in einem bestimmten Zeitabschnitt dar. Die Verhaltungsstörung, die diesem Fehlverhalten zugrunde liegt, kann bei Puten in allen Haltungsformen vorkommen – von Intensivtierhaltung bis Bio. Bisher ist es in den meisten Haltungsformen üblich, die Schnäbel der Puten vorsorglich zu kürzen und so die Schäden durch Pickverletzungen zu minimieren. Um zukünftig auf diese Maßnahme verzichten zu können, gilt es neben der Suche nach den Auslösern, das Management und die Haltung der Tiere zu optimieren.

Das Frühwarnsystem basiert auf der Idee, Bilder aus dem Stall auszuwerten und einzuordnen. Im Zuge der Bildverarbeitung kommen sogenannte neuronale Netze zum Einsatz. Die Funktionsweise von künstlichen, neuronalen Netzwerken kann wie Nachahmung von Informationsverarbeitung im Gehirn auf technischem Weg beschrieben werden.. Solche Netzwerke werden aktuell bereits genutzt, um Verletzungen bei einzelnen Schweinen festzustellen. Jetzt soll untersucht werden, ob die Erweiterung des Verfahrens auf größere Tiergruppen, wie sie beispielsweise in einer Putenmast vorkommen, möglich ist.

Ein intelligentes System, das bei Gefahr Alarm schlägt

Zu Beginn des Projektes muss das zu entwickelnde, lernfähige System mit Bildmaterial von gesunden Puten im Normalzustand und mit Tieren mit Verletzungen trainiert werden. Das über mehrere Mastdurchgänge zusammengestellte Material wird anschließend in Einzelbilder zerlegt und manuell analysiert. Werden verwundete Tiere erkannt, wird die Verletzung markiert und im System hinterlegt. Auf diese Weise  wird das neuronale Netzwerk trainiert, sodass das System zukünftig das aufgenommene Bildmaterial selbstständig auswerten und in Echtzeit verarbeiten kann.

Anders als bei den momentan vorgeschriebenen Kontrollgängen, , hat der Landwirt, unterstützt durch das System, einen lückenlosen Überblick über die Gesundheit und das Wohlbefinden seiner Tiere und erhält bei Abweichungen von den Normalwerten umgehend eine Benachrichtigung. So kann der Landwirt schnell eingreifen und, wenn nötig, betroffene Tiere von der Gruppe trennen. Kleine, augenscheinlich unauffällige Verletzungen können in der Putenmast in kürzester Zeit zu massiven Problemen führen. Die Wahrscheinlichkeit, diese zu übersehen, ließe sich durch das Frühwarnsystem stark minimieren. Mit ihrem Konzept konnte Dr. med. vet. Birgit Spindler die Jury der Initiative Tierwohl überzeugen und erhält eine Projektförderung mit Vollfinanzierung in Höhe von 228.736 Euro.

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