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Nachgefragt! beim Präsidenten des Deutschen Bauernverbands: „Die Resonanz der Tierhalter auf die Initiative übertrifft alle Erwartungen“

16. September 2015
Deutscher Bauernverband Rukwied

Joachim Rukwied ist seit Juni 2012 Präsident des Deutschen Bauernverbands und vertritt damit die Interessen der Landwirtschaft innerhalb der Initiative Tierwohl. Der Deutsche Bauernverband ist einer von sechs Gesellschaftern der Initiative Tierwohl. Diese definieren Anforderungen aus den einzelnen Branchen, kontrollieren die mit der Überwachung der Kriterieneinhaltung beauftragten Zertifizierungsstellen, überwachen die Zahlungsabwicklung und sanktionieren Verstöße.
Im Interview erzählt Rukwied, wie er den Weg der Initiative bisher erlebt hat, warum es wichtig ist, dass Landwirte sich aus Überzeugung für mehr Tierwohl einsetzen und was getan werden muss, um die Initiative weiter auszubauen.

Der Deutsche Bauernverband ist Partner der Initiative Tierwohl. Nach drei Jahren intensiver Vorarbeit konnte das freiwillige Wirtschaftsbündnis im Januar 2015 starten. Wie haben Sie als DBV Präsident den Prozess erlebt und was ist Ihre persönliche Zwischenbilanz nach den ersten 8 Monaten?
Wir haben im Berufsstand intensiv und konstruktiv diskutiert, geworben und die Entstehung und Ausgestaltung der Initiative Tierwohl begleitet. Heute kann ich sagen: Die Resonanz der Tierhalter auf die Initiative übertrifft alle Erwartungen. Die Teilnehmerzahlen dokumentieren, dass die Landwirte umgehend in zusätzliche Verbesserungen des Tierwohls investiert haben.

Insgesamt 12 Millionen Schweine und rund 255 Millionen Stück Geflügel profitieren bereits von den Tierwohl-Kriterien. So viel hat bisher noch keine andere Initiative für Verbesserungen in der Nutztierhaltung erreicht. Was macht diesen Erfolg aus?
Für uns war bei der Ausgestaltung der Initiative Tierwohl von Anfang an eine Freiwilligkeit bei der Kriterienwahl und vor allem ein Kostenausgleich für die Landwirte entscheidend. Und genau darin liegt das große Interesse am Mitmachen bei der Initiative begründet. Wir Landwirte haben immer gesagt, dass wir bereit sind, mehr zu tun, wenn wir nicht allein auf den Kosten sitzen bleiben. Mit der Initiative Tierwohl hat uns der Lebensmitteleinzelhandel diese Chance geboten und die haben wir unmittelbar und konsequent genutzt.

Immer wieder werden Forderungen nach stärkeren gesetzlichen Vorgaben in der Nutztierhaltung laut. Was halten Sie von diesen ordnungspolitischen Forderungen und warum betonen Sie das Prinzip der Freiwilligkeit?
Ordnungspolitik ist nicht der richtige Antwort auf die großen Herausforderungen, denen wir in der gesellschaftlichen Tierhaltungsdebatte in Deutschland gegenüberstehen. Für einige Themen stehen derzeit noch keine praktikablen Lösungen zur Verfügung – z. B. für den völligen Verzicht auf das Kupieren der Schwänze –. Bei anderen Punkten müssen wir die Wettbewerbsfähigkeit im Auge behalten. Ordnungspolitik führt in der Konsequenz zu Strukturveränderungen insbesondere zu Lasten der kleineren Betriebe und zu einer Verlagerung der Tierhaltung ins Ausland. Das wollen wir nicht! Wir haben uns mit der Initiative Tierwohl auf den Weg gemacht, um den aktuellen gesellschaftlichen Wünschen gerecht zu werden, ohne die Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren.

Über 60% der Verbraucherinnen und Verbraucher wünschen sich Lebensmittel aus artgerechter Tierhaltung. Gleichzeitig erhalten die Landwirte aber immer weniger Geld für ihre Erzeugnisse. Wie können Landwirte heutzutage den gesellschaftlichen Erwartungen und Ansprüchen der Verbraucher gerecht werden und dennoch wirtschaftlich arbeiten? Welche Rolle spielt der Verbraucher in Sachen Tierwohl?
Immer weniger Geld für immer höhere Ansprüche: Das geht nicht! Die Tierhaltung können wir nur dann weiterentwickeln, wenn wir auch Geld verdienen. Lebensmittel benötigen in Deutschland nicht nur eine hohe ethische, sondern auch eine hohe finanzielle Wertschätzung. Das heißt konkret: Der Wert von Lebensmitteln muss auch an der Ladenkasse anerkannt werden.

Landwirte kritisieren in Gesprächen mit uns oft, dass Verbraucher die Realität in den deutschen Ställen nicht kennen würden. Das Bild der Nutztierhaltung sei bisher entweder von romantischen Werbebildern oder Skandalvideos von Tierschützern geprägt. Wie würden Sie die Realität beschreiben und wie kann die Initiative Tierwohl dazu beitragen, diese abzubilden?
Tiere werden heute in modernen Ställen viel tiergerechter gehalten als in früheren Zeiten. Mit der Initiative Tierwohl wollen wir darüber hinaus noch mehr tun. Die Initiative Tierwohl kann im Rahmen ihrer Kommunikation diese Situation offen und transparent darlegen und damit die aktuelle Debatte versachlichen.

Die Initiative Tierwohl erreicht noch nicht alle Landwirte. Viele Betriebe stehen auf der Warteliste, weil die Mittel der Initiative bisher nicht ausreichen um alle interessierten Landwirte aufzunehmen. Bisher haben Sie vor allem mehr Einsatz vom LEH gefordert. Sehen Sie auch andere Branchen oder mögliche Einzahler in der Pflicht?
Die Initiative Tierwohl ist auf den Weg gebracht. Jetzt muss allen teilnahmewilligen Tierhaltern das Mitmachen ermöglicht werden. Daher erwarten wir, dass die gesamte Kette von der Verarbeitung bis zum Lebensmitteleinzelhandel den neuen Weg zu mehr Tierwohl aktiv begleitet und mitgeht. Der Lebensmitteleinzelhandel steht dabei in der ersten Reihe. Sicherlich muss auch über weitere Finanzierungsmöglichkeiten nachgedacht werden. Das Ganze muss in eine langfristige Strategie mit Perspektive über die ersten drei Jahre hinaus eingebettet sein. Derzeit wird daran mit Hochdruck gearbeitet.

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